Leseprobe zu: *Erlebnisse eines Callgirls*

Teil 2

„Gute Geschäfte & Gefahren“

~ Für Natascha ~

1

Es ist kurz vor Mitternacht am Silvesterabend als ich alleine auf meinem Zimmerbalkon des Joannis Hotel sitze. Das Hotel ist in Glyfada, einem südlichen Stadtteil Athens. Hier wohne ich seit Mitte September. Mein Zimmer ist eine Suite in der vierten Etage und vom Balkon aus kann ich, über die Plateia hinweg, auf den Saronischen Golf schauen. Ich habe mir für heute Abend eine festliche Atmosphäre geschaffen: Eine weiße Damast-Tischdecke und einige Windlichter schmücken den einfachen, runden Metalltisch auf meinem Balkon. In einem Eiskühler lehnt eine Flasche Champagner, deren Hals ich in eine Stoffserviette gewickelt habe. In einigen Minuten werde ich die Flasche entkorken und mir ein ‚Frohes Neues Jahr‘ wünschen. Es stört mich nicht im Geringsten, diesen Moment alleine zu verbringen. Schon jetzt genieße ich die Stimmung der Stunde.

Wie viele Menschen das am Silvesterabend machen, blicke ich zurück auf das alte Jahr. Seit Juni bin ich in Athen, habe mich hier als selbstständiges Callgirl etabliert und meinen bürgerlichen Namen, Ilona, gegen den Künstlernamen, Anika, getauscht. Natürlich weiß das niemand meiner Verwandten oder Freunde. – Sie alle glauben, ich arbeite als Barfrau in einem englischen Pub. Diese Version, mit dem Job in einer Bar, glauben alle. Denn viel mehr außer einem bisschen Gastronomieerfahrung, einigen Sprachkenntnissen, etwas Geschick und Charme, braucht man dazu nicht. – Und das alles kann ich vorweisen.

In meinem Innersten bin ich sehr froh darüber, nicht mehr jeden Tag daran erinnert zu werden, dass ich wegen meines wirklichen Jobs in einem Käfig aus Lügen lebe. Jahrelang hat mich diese Tatsache bedrückt. Erst weit weg von der Heimat, meiner Familie und den Freunden kann ich meiner Arbeit nachgehen, ohne ständig Angst davor zu haben, dass meine Liebsten erfahren, was mein wahrer Beruf ist.

Ich annonciere in der englischsprachigen, griechischen Wochenzeitschrift ‚Athens World‘  als attraktive, charmante Lady aus Deutschland, die einen großzügigen Herrn kennenlernen möchte. Durch diese Anzeige war es ganz einfach, Kundschaft zu bekommen. Im Juli habe ich ein griechisches Bankkonto eröffnet und ein Schließfach gemietet, um mein Selbstverdientes sicher aufzubewahren. Mittlerweile habe ich auch eine private Krankenversicherung abgeschlossen, über die ich weltweit versichert bin. Die ist sehr wichtig, damit ich im Falle eines Unfalls oder einer schweren Krankheit nicht an mein Erspartes muss. Denn das soll mir einen angenehmen Lebensstil verschaffen und mir meine finanzielle Zukunft sichern! – Mein soziales Umfeld besteht momentan hauptsächlich aus zwei Kolleginnen und meiner Kundschaft. Weder die Hotelangestellten noch die Bediensteten in meinen Stammlokalen wissen, was ich in Athen mache. Für die meisten, die mich regelmäßig sehen, bin ich eine Fremde, eine Touristin oder einfach nur ‚die Deutsche‘. Dem Inhaber des Joannis Hotels habe ich erzählt, ich hätte eine Erbschaft gemacht und wolle eine Zeitlang das Leben an der Küste Griechenlands genießen. Daraufhin gab es keine weiteren Fragen.

Das Joannis Hotel ist über dreißig Jahre alt und renovierungsbedürftig, – aber es genügt meinen momentanen Ansprüchen. Es hat einen Aufzug und auf meinem Zimmer habe ich Internetzugang, eine Klimaanlage,  einen Kühlschrank und einen Fernseher. Mit dem speziell ausgehandelten Tagespreis von 25 € pro Tag, kann ich es mir ohne weiteres leisten, hier zu wohnen. Außerdem liegt das Joannis Hotel nur knappe zweihundert Meter von der Plateia-Glyfada entfernt, wo es Taxistände, eine Tram, mehrere Bushaltestellen, Lebensmittelgeschäfte und zum Glück auch Parkplätze gibt! –  Die sind wichtig, weil ich von meinem letzten Deutschlandbesuch im September ein Auto mitgebracht habe. Einen Gebrauchtwagen mit Klimaanlage und Navigationsgerät.

Vereinzelt höre ich hier und da einen Silvesterböller knallen. Es sind nur noch zwei Minuten bis zum Neuen Jahr. Langsam ziehe ich die Champagnerflasche aus dem Eiskühler und lasse das Wasser abtropfen. Ich habe allen Grund das letzte Jahr voller Dankbarkeit zu verabschieden: Ich habe mich gut in diesem fremden Land und dieser großen Stadt eingelebt und mein Geschäft blüht. Mein monatliches Einkommen beträgt zwischen 5000 € und 6000 €. – Noch in Gedanken versunken sehe ich, wie eine Feuerwerksrakete den dunklen Nachthimmel mit seinem bunten Farbenregen erhellt und fast zeitgleich mit dem Jahreswechsel entkorke ich die Flasche Moet und schenke mir das köstlich, prickelnde Getränk in die eigens für den heutigen Anlass gekaufte Champagnerschale.

„Prosit Neujahr, Ilona!“, flüstere ich glücklich und hebe mein Glas.

Ich trinke einen Schluck, stehe auf und stütze mich mit den Ellbogen auf die Balkonbrüstung. Die ganze Welt um mich herum scheint meine Hochstimmung zu teilen. Mir ist, als sei ich der Mittelpunkt dieser Feierstimmung, in der ein gigantisches Feuerwerk den Himmel über mir erhellt. Als es ein paar Minuten später verebbt, ziehe ich meinen Schal etwas enger um den Hals. Eine leichte Brise vom Meer her lässt mich kurz frösteln. Aber nicht frieren. Gefroren habe ich in Athen bisher nicht. Auch im Winter spendet die Sonne noch reichlich Wärme. Sie erhellt nicht nur den Tag, wie in nördlichen Gefilden. Und das schätze ich sehr.

Als mein Smartphone klingelt, sehe ich auf dem Display, es ist meine Freundin und Kollegin, Violet. Sie ist eine sehr attraktive Engländerin, Mitte vierzig, mit langem, glatten, blonden Haar und blauen Augen. Ihre Haut ist weiß wie Alabaster und sie hat einen roten Busch, auf den viele ihrer Kunden total scharf sind. Violet hat mir viele wertvolle Tipps für mein neues Arbeitsgebiet gegeben, als ich in Athen ankam, und ich bin sehr froh darüber, mit ihr befreundet zu sein. Ich kehre zurück in mein Zimmer und nehme das Gespräch an.

„Hallo Anika, Darling! Ein Frohes Neues Jahr wünsche ich dir! Was machst du, wie geht es dir?“

„Hallo Violet! Danke! Dir auch alles Gute fürs Neue Jahr! – Ich habe bis gerade auf dem Balkon gesessen, Champagner getrunken und das Feuerwerk angesehen. Es ist so mild draußen. – Ist es nicht eine wunderschöne Silvesternacht?“

„Das mag sein. Ich sitze in meinem Wohnzimmer, sehe fern und bin um Mitternacht noch nicht einmal vor die Türe gegangen, weil ich das laute Knallen der Feuerwerkskörper nicht mag. Ich habe sowieso nicht mehr viel am Hut mit dem Jahreswechsel. Genauso wenig wie mit meinem Geburtstag. Wir werden nur älter! Was soll ich daran toll finden? Für mich ist das schönste an diesem Abend die Silvestershow im britischen Fernsehen. Was für elegante Kleider die Stars und Sternchen zu diesem Anlass tragen und wie sie zurechtgemacht sind! Unglaublich! Da kann ich mir etwas abgucken. Und ich wette, fast alle haben sich Botox spritzen lassen. – Wie sieht’s aus? Hast du heute Abend noch gearbeitet?“

„Nein, heute Abend nicht mehr. Aber an so einem Tag habe ich auch nicht unbedingt damit gerechnet. Mittags habe ich Alexandros in Piräus gesehen. Von daher war der Tag gut. Für übermorgen habe ich einen Termin zusammen mit Natascha. Wir treffen einen ihrer Kunden hier in Glyfada. – Und wie sieht es bei dir aus?“

„Heute den ganzen Tag nichts! Vor Weihnachten überschlage ich mich und seit den Feiertagen herrscht Flaute. Aber das legt sich auch wieder. Irgendwann kommen die Freier zurück. Jetzt ist nun mal Familienzeit. Nur einsame Seelen wie dein Alexandros sind froh, dass wir für sie da sind. Ihnen versüßen wir diese Zeit, in der alle doch irgendwohin gehören wollen. – Ich habe letzte Woche auch keinen Neuen gesehen, nur Stammkunden: Christo, Sokrates, Janis und natürlich Jack. – Mein Gott, Jack! Gestern war er bei mir. Er hat mich bedrängt, heute Abend mit ihm auszugehen! Natürlich habe ich abgelehnt. Heute Nachmittag hat er mich nochmal angerufen, um zu hören, ob ich meine Meinung geändert habe… Aber wenn ich mit ihm ausgegangen wäre, hätte er mich erstens nicht bezahlt und zweitens hätte er sich neue Hoffnung auf eine Beziehung mit mir gemacht! Es war besser, ihn nur für bezahlten Sex in meine Wohnung kommen zu lassen. Ich habe ein erotisch wildes Stündchen mit ihm verbracht, und ihn zum Abschluss mit wackelnden Möpsen entlassen. – Sag mal Darling, ich kenne es ja seit vielen Jahren, an den Feiertagen alleine zu sein, aber wie ist es für dich? Vermisst du deinen Vater, deine Freunde und Bekannten? Du hast doch sicherlich immer mit ihnen ins Neue Jahr gefeiert!“

„Nein, ich vermisse sie nicht. Auch keine Party. Irgendwie war es doch immer das gleiche. Wir sind mit einem Haufen Leute und viel Alkohol ins Neue Jahr gerutscht. Mir geht es alleine prächtig! Ich rufe nachher auch niemanden mehr an. Alle glauben eh, dass ich heute Abend im Pub arbeite.“  

„Okay! – Meine Familie glaubt, ich sei mit einem Freund auf einem rauschenden Fest. Das erzähle ich ihnen jedes Jahr. Ich erzähle ihnen so viel über mich, was nicht stimmt… Und alles glauben sie mir! – Wenn ich in England leben würde, wollten sie bestimmt, dass ich mit ihnen zusammen ins Neue Jahr feiere. Sie machen immer diese verrückten Kostümpartys. Ich gestehe, ich habe sie früher geliebt. Und wer weiß, vielleicht würde ich mich heute auch noch auf so einer Party amüsieren. Wenn man mit den richtigen Leuten zusammen ist, kann das der pure Spaß sein. – Ach ja, und ich habe immer sehr gerne getanzt! Das vermisse ich hin und wieder. Wenn ich davon erzähle, könnte ich glatt sentimental werden… Also Schluss damit! – Mein Telefon habe ich übrigens vor zwei Stunden schon ausgeschaltet. Ich werde die Silvestersendung noch zu Ende sehen und dann gehe ich zu Bett. Also erzähle: Was machst du noch?“

„Ich lasse mein Telefon für alle Fälle eingeschaltet, trinke noch ein, zwei Gläschen Champagner und gehe schlafen. – Also, Violet, noch viel Spaß mit deinen Stars im Fernsehen! Wir sprechen uns morgen wieder. Gute Nacht!“

„Gute Nacht, Anika! Kisses und bis morgen!“

Ich gehe wieder hinaus auf den Balkon. Hin und wieder zündet noch jemand einen Böller, aber die große Show dieser Silvesternacht ist gelaufen. Nach zwei weiteren Gläschen Schampus stelle ich die Flasche Moet in den Kühlschrank, räume den Balkontisch ab und nachdem ich mich zur Nacht fertig gemacht habe, lasse ich mich müde ins Bett fallen.

Als mein Smartphone das nächste Mal klingelt, ist es 5.30 Uhr. Verschlafen sehe ich auf das Display und erkenne den Anrufer. Es ist René Bosquier, ein Stammkunde, der mich meistens früh morgens anruft, nachdem er mit seinen Kollegen eine Nacht in den Bars verbracht hat.

Als ich das Gespräch annehme, sage ich:

„Prosit Neujahr, René! Bist du gut ins Neue Jahr gekommen?“

„Ja, danke! Dir auch ein Frohes Neues! Ich hoffe, du bist gut reingekommen. Und, wie sieht es aus? Kannst du kommen?“

„Ja. In ungefähr einer halben Stunde kann ich bei dir sein. Passt das?“

„Prima, bis gleich, Sexy Lady!“

René hat aufgelegt und ich bin schon aus dem Bett gestiegen und auf dem Weg ins Badezimmer. Mein Hirn rattert etwas unkoordinierter als am Tage, weil ich so plötzlich aus dem Tiefschlaf gerissen wurde.

Nachdem ich geduscht, schnell mit einer Lotion eingecremt und leicht geschminkt bin, ziehe ich einen schwarzen Satin-BH und einen dazugehörigen Slip an, rolle schwarze, halterlose Seidenstrümpfe über meine Beine, schlüpfe in mein kleines Schwarzes, das ich mir für einen eventuellen Termin am Silvesterabend zurechtgelegt hatte und  lege dezenten Schmuck an. Ich steige in meine schwarzen, glitzernden Pumps, schnappe mir die Autoschlüssel und meine fertig gepackte Tasche. Neben dem üblichen Zeugs, das eine Frau in ihrer Handtasche mit sich trägt, habe ich Unterwäsche zum Wechseln, Kondome, einen kleinen Vibrator und Massageöl eingesteckt. Schnell werfe ich meinen langen, schwarzen Mantel über, verlasse das Zimmer und ein paar Minuten später sitze ich im Auto und fahre los. René wohnt nicht weit entfernt. Er ist ein unglaublich gut aussehender, gut gebauter, charmanter Franzose Anfang vierzig, mit schwarzem, früh morgens immer strubbligem Haar. Nach 10 Minuten Autofahrt erreiche ich das Haus, in dem er wohnt. Ich fahre ein paar Meter weiter bis um die nächste Ecke herum und stelle meinen Wagen dort ab. Mein weißer Golf mit deutschem Kennzeichen soll nicht mit mir als Callgirl in Verbindung gebracht werden! Die Ausübung meiner Tätigkeit, so wie ich sie betreibe, ist schließlich illegal. Auch hier in Griechenland. Ich steige aus, schließe die Autotür ganz leise und wähle auf dem Weg zum Haus seine Nummer. René meldet sich sofort und sagt:

„Hi Anika, ich öffne dir die Türe.“

„Prima, danke René.“

Es ist noch stockdunkel, als ich durch den Vorgarten des weihnachtlich beleuchteten Eingangsbereiches des zweistöckigen, weiß getünchten Hauses gehe. – Ich öffne meinen Mantel, damit sein Blick sofort auf mein reizendes, kleines Schwarzes mit dem tiefen Ausschnitt fällt. René steht in der leicht geöffneten Türe und hält wie immer einen Zeigefinger über seine Lippen, um mir zu bedeuten, leise zu sein, damit die anderen Bewohner des Hauses nicht hören, dass er Besuch bekommt. Ich gehe auf Zehenspitzen, bis wir seine Wohnung erreicht haben und er behutsam die Türe hinter uns geschlossen hat.

„Hi! Schön, dass du kommen konntest! Schick bist du. – Warst du aus? Hast du etwa auch bis vorhin gefeiert? – Gib mir deinen Mantel!“

„Nein, aber ich bin gut ins Neue Jahr gekommen. Du siehst übrigens super aus! Ich kenne dich bisher nur im Bademantel, aber ein Anzug steht dir auch verdammt gut.“, sage ich mit einem scherzhaften Unterton, während ich ihm meinen Mantel reiche. Er lacht und sagt:

„Ja, stimmt, du kennst mich gar nicht normal gekleidet. – Komm, trink noch ein Glas mit mir und danach wünsche ich mir nur einen Blowjob.“

„Sicher, Darling.“

Ich folge ihm in sein geräumiges und stilvoll eingerichtetes Wohnzimmer mit der verglasten Wand zum Garten hin. Mein Blick fällt auf den Swimmingpool, der trotz des Winters noch mit Wasser gefüllt ist. René öffnet eine Sektflasche, schenkt uns ein und sagt mit erhobenem Glas:

„Also: Auf ein Gutes Neues Jahr, Sexy!“

„Auf ein Gutes Neues Jahr, Rene!“

Wir prosten uns zu, trinken, und Rene zieht sein Jackett aus.

„Du brauchst dich nicht auszuziehen, Anika. Wir gehen nicht ins Schlafzimmer. Gib mir einfach hier am Tisch einen Blowjob. – Das ist mal etwas anderes, als auf dem Bett. Und wir können danach noch in Ruhe austrinken. Schließlich ist heute ein Feiertag.“

„Mir soll es recht sein, Darling.“

„Ja, – und ich werde achtgeben, dass ich dein hübsches Kleid nicht mit Sperma versaue.“, ergänzt er, während er seinen Hosenschlitz öffnet und seinen Franzosen aus der Designerunterhose holt.

„Und wie machen wir das mit deiner Kleidung? Willst du heute etwa ein Kondom beim Blowjob tragen?“

„Nein. Meine Sachen gehen in die Reinigung. Nimm keine Rücksicht darauf.“

„Okay!“, gebe ich erstaunt zurück und denke, mir kann es ja wirklich egal sein, was mit seiner Hose geschieht.

René lehnt mit seinem Po an der Kante des schweren Glastisches und ich trinke noch einen Schluck Sekt, bevor ich in die Hocke gehe und sein bestes Stück in den Mund nehme. Er stöhnt sofort auf und schon bald spüre ich, wie sein kleiner Freund wächst. René ist ein sehr einfacher Kunde. Gewöhnlich kommt er schnell zum Höhepunkt. Wir kennen uns seit circa sechs Monaten und sehen uns ungefähr alle zwei Wochen früh morgens, meistens am Wochenende. Ich darf ruhig behaupten, dass mittlerweile eine gewisse Vertrautheit zwischen uns besteht. Als ich spüre, dass René seinem Orgasmus nahe ist, ziehe ich seinen Schwanz aus meinem Mund, nehme ihn stattdessen in die Hand, stehe auf, schmiege mich seitlich an seinen Körper und rubbel seinen Ständer gleichmäßig weiter. René fasst mir durch den Stoff des Kleides an meinen Busen, legt seinen Kopf in den Nacken, stöhnt mit verdrehten Augen und spritzt ab! – Seine Suppe tropft über meine Hand auf seinen Slip und die Anzughose. Mein Kleid bleibt sauber. René sackt leicht in sich zusammen. Er ist erschöpft. Von der langen Nacht, dem Alkohol und letztendlich vom Sex. – Wenn wir uns im Schlafzimmer auf seinem Futon vergnügen, bekommt er manchmal zum Abschluss noch eine kleine Massage von mir. Ob er darauf jetzt noch Lust hat?

„Na, Darling, war das alles, was ich heute Morgen für dich tun konnte? Oder möchtest du noch eine Massage zum Einschlafen?“

„Nein Sexy, heute nicht. Komm lass uns noch austrinken. Ich rauche noch eine und dann haue ich mich ins Bett. –  Du wirst auch müde sein. Es ist toll, dass du kommen konntest!“

René steckt seinen glibberigen Franzosen zurück in die Unterhose, zieht die Anzughose hoch, schließt den Reißverschluss und der Ordnung halber auch seinen Gürtel. Dann füllt er unsere Gläser auf und reicht mir meins.

„Also nochmal: Prosit Neujahr! Für mich hat es fantastisch begonnen! Danke dir!“

„Für mich hat es auch prima begonnen. Danke dir auch, René! – Jamass!“

Wir lassen unsere Gläser klingen, trinken und René erzählt mir, in welchem Club er mit welchen Leuten ins Neue Jahr gerutscht ist. Dann zieht er sein Portemonnaie aus der Gesäßtasche seiner Hose, zieht 150 € hervor, reicht sie mir und sagt:

„Du weißt, wo das Badezimmer ist. Geh ruhig schon, ich warte an der Wohnungstüre auf dich.“

Ich stecke die Scheine in meine Tasche, verschwinde im Bad, wasche meine Hände, spüle den Mund mit antiseptischem Mundwasser aus und als ich fertig bin, gehe ich in den Flur. Dort wartet René und hält mir den Mantel auf. Als er die Wohnungstür öffnet, legt er wieder seinen Zeigefinger auf die Lippen und begleitet mich zur Haustüre. Genauso leise, wie ich hereingekommen bin, verlasse ich das Haus wieder und gehe schnellen Schrittes zu meinem Auto. Nach dem Besuch bei René bin ich hellwach und aufgedreht, – aber da es immer noch dunkel ist, und es nichts anderes für mich zu tun gibt, werde ich mich zuhause nochmal schlafen legen. – Mein erstes Geld habe ich in diesem Jahr verdient. Das ist prima! Besser hätte es für mich nicht beginnen können!

2

Als ich aufwache, ist es 10.30 Uhr. Verschlafen drehe ich mich nochmal auf die andere Seite und schließe die Augen wieder. Es besteht kein Grund, in Eile aufzustehen. Ich darf ruhig noch ein wenig weiter vor mich hin dösen. Nach einer Weile bin ich allerdings hellwach und schwinge meine Beine aus dem Bett. Nachdem ich im Bad war, koche ich Kaffee und stecke zwei Scheiben Brot in den Toaster. Alle Küchengeräte, die ich für ein Frühstück benötige, habe ich mir selber angeschafft, weil ich es nicht mag, mein Frühstück auswärts einzunehmen. Ich öffne die Balkontüre, lasse die frische Luft des neuen Jahres ins Zimmer und greife zum Telefon. Mein Vater wird schon wach sein. Ihn darf ich am Neujahrstag um diese frühe Uhrzeit ruhig anrufen. Als er sich meldet sage ich:

„Hallo Papa, Ein frohes Neues Jahr wünsche ich dir! Mit Gesundheit und viel Sonnenschein!“

„Ach Ilona, Kind. Ist das schön, dass du dich meldest. Ich habe natürlich um Mitternacht an dich gedacht! Dir auch alles Liebe und Gute im Neuen Jahr! – Pass auf dich auf und überlege dir, ob du nicht doch nach Deutschland zurückkehren willst. – Mein Gott, wenn ich daran denke, dass du als Bedienung in einem Touristenlokal arbeitest, mache ich mir Sorgen. – Das ist doch nichts für dich! Damit hast du doch kein geregeltes Leben! Du arbeitest, wenn andere Feierabend haben, ausgehen und sich amüsieren. Das kann dir doch keinen Spaß machen!“

„Papa, ich habe nicht gesagt, dass ich diesen Job für den Rest meines Lebens beibehalten werde. Für den Moment ist er aber genau richtig! Ich bin glücklich hier in Athen. – Bitte hab einfach ein bisschen mehr Vertrauen in mich und darin, dass ich selbst weiß, was mir guttut. Ich bin schließlich zweiundvierzig und keine vierzehn mehr! Und bitte lass uns nicht wieder darüber streiten. – Bitte! Sag mir lieber, wie du ins Neue Jahr gekommen bist.“

„Na gut! – Du bist ein Dickkopf. Das weiß ich ja… Also lassen wir das Thema! – Ich habe vor dem Fernseher gesessen und bin nach dem Feuerwerk kurz zum Jakob in die Kneipe gegangen, habe mit ein paar anderen Leuten angestoßen und bin wieder nach Hause gegangen. Ich habe keine Lust mehr, die Nächte durchzumachen. Dazu bin ich zu alt. – Also Kind, wenn du meinst, du weißt, was gut für dich ist, dann kann ich dir nicht helfen… Aber melde dich bald wieder! Es ist immer schön, deine Stimme zu hören. – Mach‘s gut, Ilona!“

„Ja, das werde ich machen, Papa. Mach du es auch gut! Ich hab dich lieb. Bis bald!“

Puh, dieses Gespräch war anstrengend. Ich hasse es, meinen Vater zu belügen und finde es schrecklich, dass er noch nicht mal mit meinem angeblichen Job als Barfrau klarkommt! – Was würde er tun, wenn er wüsste, dass ich schon seit vielen Jahren als Prostituierte arbeite? Daran mag ich überhaupt nicht denken. Das wäre der Weltuntergang für ihn!

Mit schwulen Männern hat er keine Schwierigkeiten. Überhaupt ist er Homosexuellen gegenüber sehr tolerant eingestellt und versteht auch, dass sie heiraten und Kinder haben wollen… Irgendwie haben Homosexuelle es in den letzten Jahrzehnten geschafft, Verständnis für sich zu gewinnen und von einer Randgruppe zu einem Teil der normalen Gesellschaft zu werden. Wieso ist das bei uns Prostituierten nicht so?? – Jeder weiß doch, dass es uns gibt und auch, dass unser Beruf eine wichtige Dienstleistung in unserer Gesellschaft darstellt. Dieser Beruf gehört zu unserer Kultur wie die Religion! – Traurig ist einfach, dass ich, wenn ich mich outen würde, mit sehr unangenehmen Konsequenzen für mein ganzes, künftiges Leben rechnen müsste… Um dieses unerfreuliche Thema zu verdrängen, atme ich tief durch und gehe hinaus auf den Balkon. Die Luft ist frisch. Es hat 18°C im Schatten. Das wäre in Deutschland warm, aber mir als Frostbeule wären ein paar Grad mehr sehr angenehm.

Meinen Kaffee trinkend denke ich darüber nach, wie ich den heutigen Tag verbringen will. Mit Kundschaft kann ich am Neujahrstag nicht unbedingt rechnen. Also entscheide ich, etwas ganz außergewöhnliches zu machen: Einen Ausflug!

Mittags steige ich ins Auto und fahre in Richtung Süden an der Küste Athens entlang. An einem langen Sandstrand bei Lagonisi, weit hinter den letzten Außenbezirken Athens, parke ich mein Auto, ziehe Schuhe und Strumpfhose aus, nehme mein Handtuch und gehe barfuß spazieren. Als ich meine Zehen in den Sand bohre, fühlt er sich kühl an, und als ich mich mit den Füssen ins Meer traue, ziehe ich sie schnell wieder zurück. Das Wasser ist kälter, als ich dachte! – Trotzdem überwinde ich mich und wate durch das flache Wasser mit seinen leise an den Strand plätschernden Wellen. Die Sonne scheint, es ist windstill und schon nach kurzer Zeit fühlt sich das Wasser nicht mehr kalt an sondern erfrischend gut. Ich könnte mir vorstellen, baden zu gehen. Niemand anderes ist hier. Also nehme ich meinen ganzen Mut zusammen, lege die Kleider ab und tue, was ich noch nie getan habe: Ich nehme ein Neujahrsbad! – Es ist saukalt! Aber es tut auch wahnsinnig gut und macht mich richtig glücklich!

Auf der Rückfahrt nach Glyfada klingelt mein Telefon. Da die Straße sehr breit und kaum befahren ist, steuere ich den Wagen an den Straßenrand, halte und nehme das Gespräch an:

„Hallo!“

„Hallo. Spreche ich mit der Deutschen?“

„Ja. Alles Gute zum Neuen Jahr. Ich heiße Anika.“

„Okay, Anika, ich heiße John. Kann ich dich ein paar Dinge fragen?“

„Selbstverständlich.“

„Wie alt bist du und wie siehst du aus?“

Ich bin fünfunddreißig Jahre alt, schlank, blond und habe blaue Augen.“

„Und wieviel kosten drei oder vier Stunden mit dir?“

Ich muss kurz überlegen, weil die Frage nach mehreren Stunden eher selten gestellt wird. Für eine Stunde Safer Sex inklusive Oralverkehr nehme ich 150 € und für zwei Stunden 250 €. Das gibt’s hin und wieder, – aber drei oder vier Stunden? Ich schlage einfach pro Stunde nochmal 100 € drauf und antworte:

„Drei Stunden kosten 350 € und vier Stunden 450 €“

„Mh… Das ist viel. Würdest du auch vier Stunden für 400 € mit mir verbringen?“

Ich überlege und denke, da ich nur eine einzige An- und Abfahrt habe, könnte ich mich vielleicht auf 400 € einlassen. Also antworte ich:

„Ja, das wäre möglich. Aber der Preis ist nur für Safer Sex inklusive Oralverkehr. Da sind keinerlei Extras drin enthalten!“

„Okay. Ich hätte nur gerne, dass du deine Wäsche ein paar Mal für mich wechselst. Das müsste doch möglich sein, oder?“

„Das geht natürlich.“

„Hast du einen roten String und rote Schuhe?“

„Ja, habe ich.“

„Hast du auch einen weißen String-Tanga und weiße High Heels?“

„Habe ich ebenfalls.“

„Und sicher hast du einen schwarzen Tanga und schwarze Pumps.“

„Natürlich.“

„Das ist gut. Ich will, dass du alles mitbringst und mir vorführst. Ich will dich in allen drei Farben sehen. Geht das?“

„Ja, das ist okay. Wann und wo willst du mich denn treffen?“

„Das weiß ich noch nicht. Vielleicht in ein paar Tagen. Ich rufe dich wieder an. Bye.“

Er hat aufgelegt. Einfach so, ohne ein weiteres Wort von mir zu hören. Schon seltsam, finde ich. Aber vielleicht ist plötzlich jemand in seiner Nähe aufgetaucht  und er konnte nicht weiter frei sprechen. So etwas kann vorkommen.

Ich warte noch einen Augenblick, ob er vielleicht zurückruft, aber nichts passiert und ich fahre weiter in Richtung Glyfada. Da er von einer unterdrückten Nummer aus angerufen hat, gibt es für mich nichts zu speichern. Als ich durch Varkiza fahre, halte ich an einer geöffneten Strandbar, trinke eine heiße Schokolade und tausche per Whatsapp Neujahrswünsche mit Freunden und Bekannten aus. Das mache ich natürlich mit meinem privaten Smartphone, das eine deutsche Mobilnummer hat. Am späten Nachmittag kehre ich zurück nach Glyfada, parke meinen Wagen vor dem Hotel und suche eins meiner italienischen Lieblingsrestaurants auf. Während ich mir eine Pasta mit verschiedenen Käsesorten schmecken lasse, klingelt mein Telefon. Der Anrufer möchte Information über mich und meine Dienste. Leise beantworte ich seine Fragen. Nachdem er sich freundlich verabschiedet hat, speichere ich seine Mobilnummer unter „Alex Auskunft“. Als ich mit dem Essen fertig bin, kehre ich in mein Hotel zurück. Mir ist langweilig… Ich schalte den Fernseher ein und zappe durch die Fernsehkanäle. Nirgendwo gibt es etwas, das mich länger als zwei Minuten interessiert. Ich fühle mich miserabel, ohne einen Grund dafür zu haben. So vergeht die Zeit, bis ich aufschrecke als mein Smartphone klingelt. Es ist ein unbekannter Teilnehmer. Schnell stelle ich den Ton des Fernsehers auf Lautlos und nehme das Gespräch mit einem freundlichen ‚Hallo‘ an.

„Hi Anika, hier ist Richard. Ein Frohes Neues Jahr wünsche ich dir! Kannst du gleich kommen?“

Richard ist mein ältester Stammkunde in Athen. Er zahlt mir nur 70 €, weil ich ihn auf dem Syntagma-Platz gefischt habe. ‚Fische‘ nenne ich die Kunden, die ich mir regelrecht geangelt habe. Auf der Straße, an einer Hotelbar, in einem Pub oder wo auch immer. Wenn ich spüre, ein Typ hat sexuelles Interesse an mir, ist es meistens nur noch eine Frage des Preises, ob ich ihn ins Bett bekomme oder nicht. Aber da Fische den Sex nicht geplant haben, sondern in erster Linie die Gunst der Stunde auf ein schnelles Abenteuer nutzen wollen, zahlen sie nicht unbedingt den Preis, den ich mir wünsche. Wenn ich einem Fisch meinen Preis von 150 € pro Stunde nenne, sehe ich an seinem Gesichtsausdruck sofort, wo seine finanzielle Schmerzgrenze für ein Nümmerchen liegt. Und dementsprechend komme ich ihm entgegen. Für weniger als 70 € habe ich allerdings noch nicht gearbeitet. Das ist meine unterste Grenze!

„Hallo Richard, Darling! Dir auch ein Frohes Neues Jahr. Natürlich kann ich kommen! Lass mich überlegen: Es ist jetzt kurz nach 21 Uhr. Das heißt, in einer Stunde könnte ich bei dir sein. Bist du zuhause?“

„Nein, Anika, ich bin in meinem Stammcafé. – Ich weiß, du magst dich nicht gerne dort mit mir treffen, aber bitte mach heute eine Ausnahme! Es ist Neujahrstag und da will ich nicht alleine zuhause sitzen! Ich warte hier auf dich, okay?“

Es passt mir zwar überhaupt nicht, ihn in der Öffentlichkeit zu treffen, aber da ich sein Argument mit dem Neujahrstag verstehe, antworte ich:
„Gut, Richard. Rechne ungefähr in einer Stunde mit mir. Bis später dann!“

„Das freut mich. Bis später, Sweetie. Ich habe eine Überraschung für dich!“

Was für eine Überraschung wird das wohl sein? Ich habe gehört, dass viele Griechen ihre Weihnachtsgeschenke erst am Neujahrstag austauschen. – ‚Lass ich mich doch einfach überraschen! ‘

Gut gelaunt gehe ich ins Bad, mache mich ausgehfertig und überlege, ob ich mit dem Taxi fahren soll oder mit der Tram. – Obwohl die Tram von Glyfada aus fast eine Stunde bis zum Syntagma-Platz braucht, entscheide ich mich für sie, weil sie wesentlich preiswerter ist.

Richard ist ein ca. sechzigjähriger, ehemaliger australiischer Box-Champion, der vor fünfzehn Jahren einen Schlaganfall hatte und seitdem körperlich ein wenig eingeschränkt ist. Ich könnte mir zwar vorstellen, dass es auch daher rührt, dass Richard während seiner Boxkarriere ein paar Schläge zu viel auf den Kopf bekommen hat, – aber das ist nur meine Vermutung und muss überhaupt nicht stimmen! Wegen des Feiertags entscheide ich mich, das ‚kleine Schwarze‘ nochmal anzuziehen. Richard ist in Festtagsstimmung und er soll sehen, dass ich das würdige. Ich lege üppigen Modeschmuck an, der dem Kleidchen seine Strenge nimmt und ihm einen fröhlichen Touch verleiht.

Als ich in die nächste Tram steige, ist sie so leer wie nie zuvor. Während der Fahrt  schaue ich aus dem Fenster und lasse das weihnachtlich beleuchtete Athen an mir vorbeiziehen, bis ich den Syntagma-Platz erreiche. Ich steige aus, überquere den Platz vor dem griechischen Parlament und erreiche einige Minuten später Richards Stammcafé. Die gläserne Eingangstüre des Lokals steht offen und ich sehe Richard mit einigen anderen Leuten an der Theke stehen. Da er mich nicht sieht, trete ich von hinten an ihn heran, tippe ihm auf die Schulter und sage:

„Hallo Darling, ein Frohes Neues Jahr wünsche ich dir!“

„Anika! Schön, dass du gekommen bist. Dir auch ein Frohes Neues Jahr!“

Er küsst mich auf die Wange und spricht weiter:

„Ich möchte dir Spiros und Maria vorstellen. Das sind meine griechisch-australischen Nachbarn. –  Warte, ich bestelle dir einen Sekt, dann können wir anstoßen!“

„Gerne, Richard!“ antworte ich und reiche Maria und Spiros zur Begrüßung die Hand. Ob seine Nachbarn schon die Überraschung sind, die Richard mir am Telefon angekündigt hat? Ich hoffe nicht! Die Beiden haben sich, genau wie Richard, in Schale geworfen. Als ich mein Glas in der Hand halte, heben auch die anderen ihre Gläser und Richard sagt:

„Xronia Polla!  – Auf ein gutes Neues Jahr für uns alle!“

Wir wiederholen seinen Toast, lächeln uns an, lassen die Gläser klingen und trinken. ‚Xronia Polla‘ heißt direkt übersetzt: ‚Viele Jahre! ‘, und Griechen wenden diesen Begriff auch an Geburtstagen, Namenstagen, an Ostern und zu Weihnachten an. Richard legt einen Arm um meine Schulter, beugt sich zu mir runter und flüstert mir ins Ohr:

„Die Überraschung ist, wir werden heute keinen Sex haben, dafür lade ich dich mit Maria und Spiros in eine Bouzoukia ein. Wir werden es zur Feier des Tages im ‚Aphrodite‘ Club krachen lassen! Der Musikclub ist in Voula. Ich habe schon einen Tisch in der Nähe der Bühne bestellt. Na, was sagst du? –  Ist das nicht eine tolle Überraschung?“

Richard lächelt mich glücklich und verliebt an, aber ich bin sicher, der Sekt, den er schon getrunken hat, spielt bei dem verliebten Blick eine große Rolle. Was soll ich dazu sagen…? Ich gehe doch nicht einfach mit einem Kunden aus! Höchstens, wenn er mir den Preis für einen ganzen Abend bezahlt. Aber das wird Richard nicht tun. Vielleicht will er mich überhaupt nicht bezahlen und denkt, die Überraschung ist Geschenk genug für mich? – Was bildet er sich ein? Ich weiß wirklich nicht, was ich dazu sagen soll und grolle innerlich. Meinem Gesichtsausdruck sieht Richard wohl an, dass ich alles andere als begeistert bin und deshalb flüstert er weiter:

„Keine Bange, Anika, du bekommst dein Geld! Ich hoffe, du bist nicht böse, weil wir keinen Sex haben. Und bitte sag nicht ‚Nein‘ zu meiner Einladung! – Weißt du, ich will nicht alleine mit einem Pärchen in so einen Club. Ich will auch eine hübsche Frau an meiner Seite haben. Und du bist die Hübscheste, die ich kenne. Also, mach bitte nicht so ein Gesicht, Anika, und sag einfach ‚Ja‘. – Es ist doch Neujahr!“

Ich schlucke und weiß, mir bleibt kaum etwas anderes übrig. Denn, sage ich  ‚Nein‘,  kann ich sofort gehen, bekomme kein Geld und enttäusche Richard, der immerhin ein Stammkunde ist,  auf den ich nicht gerne verzichten würde…  Sage ich   ‚Ja‘,  mache  ich  zwar  etwas, was  eigentlich  überhaupt nicht mein Ding ist, aber Richard wird sich freuen, er wird mir 70 € zahlen und mir als Kunde treu bleiben. –  Heute kann ich ihn anscheinend nicht mit einem Blowjob,  sondern nur damit glücklich machen, dass ich mit ihm ausgehe.  – Also antworte ich, so versöhnlich wie es mir möglich ist:
„Okay, Baby. Ich komme mit! Es wird übrigens mein erster Besuch in einer Bouzoukia sein.“

Richard spricht mit der Bedienung hinter der Theke und bestellt ein Taxi. Maria beginnt eine Unterhaltung mit mir. Das heißt, eigentlich stellt sie mir nur Fragen und ich antworte. Dabei lüge ich, was das Zeug hält, denn sie fragt mich ungeniert nach meinem Familienstand, meiner Herkunft, dem Grund meines Griechenland Aufenthaltes, meiner Beziehung zu Richard, meinem Alter und meinem Beruf. Ich hoffe, ich behalte alle an den Haaren herbei gezogenen Antworten noch für die nächsten Stunden, ohne mir selbst irgendwann zu widersprechen. Aber im Grunde genommen kann mir das egal sein, weil ich mir sicher bin, dass ich Maria heute das erste und auch das letzte Mal sehe.

Spiros unterhält sich derweil mit Richard auf Griechisch. Als Maria mit ihrem Fragenkatalog durch ist, frage ich sie auch ein paar Dinge und sie erzählt, dass ihnen eine Wohnung in Richards Haus gehört, sie aber in Australien arbeiten und eigentlich selten in Athen sind, meist nur wenn in der griechischen Familie eine Feier oder eine Beerdigung ansteht. Sie sagt, ihre Kinder nutzen die Wohnung im Sommer, und hin und wieder überlassen sie sie Freunden für einen Urlaub in Athen. Richard kennen sie schon sehr lange und er sei so ein erfolgreicher und bekannter Boxer gewesen, und er sei so ein großzügiger Gentleman, – für heute Abend seien sie von ihm eingeladen. Und es sei nett, dass sie mich kennenlernen, weil Richard ihnen schon von mir erzählt habe…  – Ich frage nicht danach, was Richard ihnen von mir erzählt hat, sondern trinke meinen Sekt und denke, am besten kippe ich mir noch ein zweites Glas hinter die Binde, damit ich nicht mehr daran denke, welches Affentheater ich hier mitspiele.

Während wir auf das Taxi warten, bleibt es dabei, dass ich mich mit Maria unterhalte und Richard mit Spiros redet. Um meine Gesellschaft geht es Richard natürlich überhaupt nicht. Ich bin nur der Schmuck an seiner Seite.

Nach dem zweiten Glas Sekt habe ich mich mit meiner Situation abgefunden und freue mich mittlerweile sogar ein bisschen auf den Besuch dieser Bouzoukia. Ist doch immer wieder toll, was Alkohol bei mir bewirkt! Richard hat mir zwischenzeitlich einen Fünfziger und einen Zwanziger in die Hand gedrückt und als ich auf die Toilette gegangen bin, habe ich die Scheine in mein Portemonnaie gesteckt. Mein Telefon hat nicht mehr geklingelt und ich stelle es auf lautlos, weil ich in dieser Gesellschaft eh kein geschäftliches Gespräch führen kann und es jetzt auch nicht mehr will!

Als das Taxi angekommen ist, hilft Richard mir in den Mantel und wir steigen fröhlich schwatzend ein. Das einzige, was ich sicher über den Besuch einer Bouzoukia weiß, ist, dass dort griechische Livemusik gespielt wird und solch ein Abend ein kleines Vermögen kosten kann.

Der Bouzoukia Club ‚Aphrodite‘ liegt an der Küste Athens, kurz hinter Glyfada. Ich kenne seine großen Reklameschilder am Straßenrand, auf denen die Künstler prangen, die dort auftreten. Auf der Fahrt dorthin rauchen Richard und Spiros Zigaretten und schmeißen die Kippen anschließend aus dem Fenster. Einfach so. Sie sind beide der Mackerrolle verfallen und scheinen sich dabei gegenseitig übertreffen zu wollen. Maria hat einen Schwips und plappert ohne Pause mal auf Griechisch mit den beiden Männern oder auf Englisch mit mir. Als wir vor dem Club anhalten, werden wir von einem elegant gekleideten Herrn begrüßt. Er öffnet die Autotüren und reicht uns Frauen die Hand. Ich folge den anderen zum Eingang des ‚Aphrodite‘ Clubs und als wir hereingelassen werden, nimmt uns ein ebenfalls sehr elegant gekleideter Herr die Mäntel ab. Richard tritt an die Kasse und bezahlt unseren Eintritt. Er zieht mehrere 100 € Scheine aus der Tasche und ich schaue fort, weil ich nicht neugierig erscheinen will, obwohl ich es bin… – Seit wir durch die Türe getreten sind, werde ich von lauter Musik fast erschlagen. Natürlich ist es griechische Livemusik. Ein anderer Herr in einem schlichten, eleganten, hellgrauen Anzug, unter dem er einen dünnen Rollkragenpulli trägt, führt uns zu unserem Tisch, der ebenerdig mit der Bühne, in der zweiten Reihe steht. – Viel besser kann man nicht sitzen. Hinter uns hat der Raum die Form eines Amphitheaters und auf seinen breiten Stufen stehen Tische und Stühle. Am obersten Rand befindet sich eine sehr lange, geschwungene Theke und die Gäste drängeln sich in mehreren Reihen vor der Bar. Entweder ist es teurer, an den Tischen zu sitzen, oder sie sind nicht so beliebt. Jedenfalls sind nur etwas mehr als die Hälfte besetzt. Vor uns, in der ersten Reihe, gibt es noch zwei freie Tische, die jedoch vorbestellt sind. Wie bei uns stehen dort hübsch dekoriert eine Flasche Whisky, eine Flasche Gin, eine Flasche Wasser und Schalen mit Nüssen und Obst. Das Licht im Raum wechselt ständig zur Musik, die auf der Bühne gespielt wird und ich weiß kaum, wo ich hinsehen soll, weil mir alles, was ich beobachte, fremd ist. Ich nehme Platz und Richard fragt mich, ob ich auch Whisky trinke. Ich verneine und wünsche mir Sekt. Schließlich will ich nicht betrunken werden.

Was ich in den nächsten Stunden erlebe, ist außergewöhnlich und bizarr. Und ich gestehe, ich habe meinen Spaß daran! – Die großen, schlanken und durchtrainierten Herren in den hellgrauen Anzügen mit den Rollkragenpullis entpuppen sich als Kellner. Sie servieren, was Richard bestellt. Tonic, Soda und Eis. Für mich gibt es eine Flasche Sekt, und ich möchte nicht wissen, was sie gekostet hat. Doch, eigentlich möchte ich es schon wissen, aber ich frage natürlich nicht! –  Maria erzählt mir, dass an den Tischen immer nur Flaschen serviert werden. Nur oben an der Theke kann man einzelne Drinks bestellen. Deshalb sei die Theke auch so beliebt. Zwischen den Tischen gehen in weiße, bodenlange Gewänder gekleidete Damen umher, die übereinander gestapelte weiße Tabletts tragen, welche mit Nelkenköpfen bedeckt sind. Richard klärt mich auf, dass man diese Blütenköpfe zum Applaudieren in die Luft wirft. So, wie ich es um mich herum und auf der Bühne schon sehen kann. Die Gäste kaufen ein solches Tablett für 20 €. Wenn einem ein musikalischer Beitrag, die Band oder ein Sänger gut gefällt, nimmt man die Blütenköpfe vom Tablett und wirft sie in hohem Bogen in Richtung Bühne! Viel Beifall kann man allerdings mit der Ladung eines einzigen Tabletts nicht spenden, deshalb kauft man immer mehrere, stellt sie auf den Tisch, damit sich bedienen kann, wer will! – Richard hat für den Anfang fünf Tabletts gekauft und fordert mich auf, der Vorgruppe dieses Abends mit den Blüten zuzujubeln, denn auch sie bräuchten Anerkennung.

Maria macht es mir netterweise vor und dann traue ich mich auch: Helau, Alaaf! – Es kommt mir vor wie im Karneval, bei dem Kamelle geworfen werden… Da ich eine gebürtige Rheinländerin bin, brauche ich mich für solche Assoziationen nicht zu schämen. Richard lächelt mich an und sagt:

„Gut machst du das! – Die großen Stars kommen erst später. Du wirst dich wundern, wie beliebt sie sind!“

Maria singt einige Lieder mit und wiegt sich sitzend im Takt der Musik. Spiros und Richard unterhalten sich kaum noch, weil es viel zu laut ist. Unsere und die Aufmerksamkeit der anderen Besucher gelten fast uneingeschränkt der Musik, den Gästen, die auf die Bühne gehen und neben den Musikern tanzen, den eleganten Blumendamen und den ständig durch die Luft fliegenden Nelkenköpfen. Dass die Besucher der Bouzoukia zum Tanzen die Bühne betreten, scheint ganz normal zu sein. Aber okay, es gibt ja auch ansonsten keine Möglichkeit….außer auf den Tischen!

Als die großen Stars, deren Namen ich nicht behalten habe, sich auf die Bühne begeben, gibt es ein Hallodrio, als wenn Elton John, die Beatles oder sonst irgendwelche Superstars den Schauplatz betreten hätten.

Ein sehr großer, korpulenter Herr mit dichtem, schwarzen Haar und Vollbart, der mit zwei weiteren, eher unscheinbaren Herrn und drei sehr auffallend sexy gekleideten jungen Damen vor uns am Tisch sitzt, steht auf und winkt mit der Hand, in der er eine dicke, lange Zigarre hält, nach einem Blumenengel. Als sie ihm gegenüber steht, schreit er ihr etwas ins Ohr. Er muss schreien, – alle müssen bei dieser Lautstärke schreien. Nur die Kellner und die eleganten Blumenfeen halten sich zurück und man versucht, ihnen von den Lippen abzulesen. Das Ergebnis der kurzen Unterhaltung des ‚großen Griechen‘ mit der zierlichen Blumenfee ist, dass sie sich mit einer Kollegin auf die Bühne begibt. Eine stellt sich rechts, die andere links neben die Superstars und jetzt kommt das Unglaubliche: Während der Länge eines ganzen Musikstücks lassen die Feen mit geschmeidigen Bewegungen Nelkenköpfe über die Köpfe der Stars regnen! – Hinter jeder Fee steht ein Herr in schwarzem Anzug und hält ihr die Tabletts mit dem Nachschub hin. Bei dieser Menge Blüten ist der Boden bald bedeckt! – Es ist ein sehr langes Musikstück, und weil die Künstler so unglaublich bewundert werden, ziehen sie es ordentlich in die Länge. Immer wenn ich glaube, es seien die letzten Takte, schwingen die Künstler sich in eine neue musikalische Höhe! – Der ‚große Grieche‘ und seine Freunde stiften sie regelrecht dazu an! Und das Publikum tobt vor Begeisterung! – Diese Aktion muss den ‚Onassis‘ Tausende gekostet haben. Aber wer hat, der hat! Ich schätze, es war eines seiner Lieblingsstücke, denn er hat sich diesem Musikschmaus überglücklich hingegeben.

Eins steht fest: In diesem Musikschuppen findet man keine Griechen, die unter der Finanzkrise leiden! Die folgenden Stunden lasse ich beschwipst und mit Staunen an mir vorbeiplätschern und als Maria auf unseren Tisch steigt und tanzt, jubele ich genauso vor Vergnügen, wie meine Tischnachbarn und die Tischnachbarn meiner Tischnachbarn.

Ich glaube, es ist 5.00 Uhr morgens, als ich hundemüde werde und nur noch nach Hause will. Richard, Maria und Spiros müssen vorgeschlafen haben, denn sie sind trotz des vielen Alkohols immer noch topfit.